March 3, 2017

SUNSPOTS’ IN ANOTHER TONGUE | Der Heidnische Christus

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By virtue of the quality of the education we as Cornellians receive, our university is a profoundly international community, attracting students and faculty from around the globe. Step outside Olin Library, or keep your ears pealed in a dining hall, and you are guaranteed to hear good-natured chatter between friends and family in a language totally unfamiliar to you. Our current political climate might suggest that this is a weakness, but it is the total opposite. In our academic city on a hill, though English is the language of instruction and a requirement for admission, knowledge of another language, and the lived wisdom which comes with that knowledge, are a source of joy and admiration.

To celebrate the depth, vivacity, and color of Cornell itself, we at Sunspots have undertaken to offer an outlet for those wishing to publish in languages other than English. Participants may either speak and write a foreign language natively, or feel that they are confident enough in their skills in a target language they are learning to test them out in creative composition. Submissions should range from 400-1000 words in length, the majority of which should be in the target language, with a brief explanation in English of what the text is and its significance personally, culturally, religiously, etc. If you are interested or know a friend who may be interested in having his/her material published online in Sunspots as part of the In Another Tongue project, submit to [email protected]. Submissions will be published every Friday.

This week’s submission comes from Griffin Smith-Nichols, who has chosen to comment, in German, on excerpts from the 9th century epic poem Heliand. The poem is a 6,000 line adaptation of the Gospel narrative, retold in the Old Saxon language and producing a curious blend of “pagan” imagery, diction, and concepts in its complex and ingenious reworking of the narrative of the life of Jesus Christ. It is a text which has perplexed and fascinated scholars since its reprinting in the 18th and 19th centuries; Griffin has chosen to interpret it as an indispensable milestone in the resolution of the conflict between the traditional paganism of Northern Europe and the then ascendant Catholic faith.

Der Heidnische Christus: Deutungen zu drei Abschnitten aus dem Heliand, das sächsische Evangelium

it was ira enag barn:

siu was iru widowa, ne habda wunnea than mer,

biuten te themu enagun sunie al gelaten

wunnea endi willean, anttat ina iru wurd benam,

mari metodogescapu. (XXVI, 2186-2190)

Huand hie iro at so liobes ferahe mundoda wider 

metodigisceftie. (XXVI 2209-2210)

he ni mag is tidi bemiden,

ac he dago gehuilikes duod oderhueder,

wanod ohtho wahsid. So dod an thesaro weroldi her,

an thesaro middilgard menniscono barn:

farad endi folgod, frode sterbad,

werdad eft oimga aftar kumane,

weros awahsane, untat sie eft wurd farnimid. (XLIV, 3627-3633)

Die Geschichte des Christentums an den nördlichsten Extremitäten Europas wurde in ihren ersten paar Jahrhunderten durch Blutvergießen gekennzeichnet. Die jämmerliche Realität des Alltags in den Ländern, die zunächst verweigerten, zur neuen Religion zu bekehren und dabei ihre alte Sitten und Riten zu verlassen, war Gewalt. Gezwungene Taufen, Bekehrung mit vorgehaltener Waffe und Geiselaustausch galten als Vergeltungsmaßnahmen gegen rebellierende Bevölkerungen; sie tauchen allzu oft in den damaligen Annalen auf.

Im Großen und Ganze starb das altgermanische Heidentum eines gewaltsamen Todes. Man muss sich nur einige Ereignisse aus den Fränkischen Reichsannalen vor Augen halten: die Zerstörung der sächsischen Irminsul im Jahre 772 steht sinnbildlich für den apokalyptischen Ton, den dieser Kampf zwischen Weltanschauungen oft annahm. Die Irminsul war damals eine Kultstätte, entweder ein uralter Baum oder eine künstliche Säule, die gleichzeitig als einen Übergang zwischen den himmlischen und irdischen Sphären dienen und das Gewölbe des Himmels stützen sollte. Als sie von der rachgieriger Schar Karls des Großen umstürzt wurde, galt die Katastrophe faktisch als der Todesstoß ins Herz der alten Glauben. Der Himmel fiel.

Wenn man sich an die grundsätzliche Gesetze der Bibel erinnert, dass man nicht töten soll, und dass man sich keineswegs angesichts den Anderen widerrechtlich benehmen soll, scheint die Heilsbotschaft teilweise seine magnetische Überzeugungskraft zu verlieren. Die Tatsache, dass Nordeuropa heutzutage christlich ist, scheint nur das Ergebnis einer künstlichen Veredelung zu sein, als ob ein Verband, viel zu klein für die entsprechende, faulende Wunde, angewendet würde.

Es ist aus diesem Grunde, dass der Heliand, dessen Titel sich ins Deutsch wörtlich als Heiland oder Erlöser übersetzen lässt, ein so kompliziertes und zugleich faszinierendes Dokument ist. Es liegt dem Christentum zugrunde, dass Jesus Christus für die Sünden der Welt auf dem Kreuz starb. Die Erzählung seiner unfassbaren Leiden und endgültigen Kreuzigung ist legendenhaft, und wird vorhersehbarerweise im Heliand-Epos gemäß dem akzeptierten Verständnis seiner Ereignisse und Einzelheiten dargestellt. Das Gedicht stammt wahrscheinlich aus einem Kloster im modernen Sachsen, von einem Mönch, der sich gut genug mit der einheimlichen sächsischen Sprache auskannte, dass er ein Meisterwerk der frühmittelalterlichen Dichtung schuf, was seltsam vorkommen mag. Warum würde ein Mönch sich damit beschäftigen? Wie ahnungslos müsste man sein, die Bible zu frisch bekehrten Heiden zu predigen?

Angenommen, dass die Heilsbotschaft soll die Ohren der ganzen Welt erreichen, ist es so überraschend, dass Christus, als er das Gewirr der Nationen, Sippen, und Stämme durchschreitet, sich anders schon kleiden soll, abhängig von wo und zu wem er auftaucht? Zuweilen ist das reichlich Anlass zur Beschuldigung von Ketzerei, aber das muss nicht unbedingt und unter allen Umständen der Fall sein. Göttergewänder sind regelmäßig nur in ihrer Unberechenbarkeit; so mag Gott als aufgespießter galiläischer Zimmermann oder sogar als Sachse erscheinen, wenn es Ihm gefällt. Obwohl diese christliche-heidnische Entgegensetzung unlösbar vorkommen mag, hat jedes Gefecht, auch wenn es um Leben und Tod geht, ein Ende. Eine Synthese.

Die drei Abschnitte, die ich auswählte, stellen meiner Meinung nach einige der wichtigsten Versuche dar, die christliche Weltanschauung einem ungläubigen heidnischen Publikum klarzumachen. Es lohnt sich, die Glauben der Altsachsen zu betrachten. In dem altgermanischen Kulturkreis des Frühmittelalters wurden Streitigkeiten durch den sogenannten Holmgang gelöst: zwei Kämpfer würden sich auf einer entfernten Insel treffen, um ihrem Fecht ein Ende zu machen. Entweder ein Krieger würde durch die Hand seines Feindes umgebracht werden, oder einer würde die Herausforderung ablehnen, um seine eigene Haut zu retten, was für die höchste Unehre gehalten wurde.

Keine andere Wahl würde ihnen angeboten werden. Man könnte weder seinem wurd, d.h. seinem Schicksal, entziehen, noch könnte man es ändern. Schicksal hing über den unwissenden Köpfen aller sterblichen Menschen, eine ständig drohende Tatsache des Universums: das unvermeidliche Verhängnis. Sogar die Götter waren den Listen des Schicksals unterliegend: ihr feuriger Untergang, der Ragnarok hieß, wurde in der Liederedda prophezeit; auch als sterbliche Wesen würden die Götter eines Tages verschwinden.

Hier beobachtet man jedoch, wie Christus selbst das wurd überwindet. Alle diese Ereignisse sind bekannt aus der ursprünglichen Erzählung der Heilsbotschaft, aber im Heliand werden auf eine seltsame Weise geschildert. In den zwei ersten Abschnitten, eine Witwe fleht Christus an, ihren gestorbenen Sohn wieder zu erwecken. Wurd, erklärt sie, hat ihn weggenommen; sie überfließt vor Dankbarkeit wenn Christus dieses Wunder wirkt. Kurz danach spricht sie Ihn an als folco drohtin, oder Stammesfürher der Völker, ein Begriff, der seine Wurzeln in der tiefsten germanischen Vergangenheit hat. Im letzen Abschnitte beklagt der dachlose Bettler von Jericho, dass jede Generation zum Tode verurteilt ist, und dass Menschen so flüchtig wie nächtliche Schatten vergehen. Nichts ist sicher, alles durch Schicksal verblasst und verschwindet, damit es mit noch ungeahnten Gestalten erneut ersetzt werden darf. Diesen Zyklus von Tod und Erneuerung umfassend ist middilgard, oder Mittelerde, das Gebiet, in dem Männer der altnordischen Überlieferung nach ihre Leben führten. Seine Klage stellt also ist eine Anschauung dar, die gewiss ein enges Spiegelbild in der altnordischen Kosmologie findet.

Es ist jedoch der wesentlichster Glaubenssatz, dass Jesus Christus über die Macht den Tod zu überwinden verfügt. Er ist nicht nur der Erlöser, sonder der Löser. Hillaire Belloc hat einmal gesagt, dass das Genie der katholischen Kirche bestand darin, dass ihre Hauptgöttlichkeit, nämlich Christus im Fleisch, die Gestalt eines bloßen, verwundbaren Mensches annahm, obwohl er sich mit Leichtigkeit für einen leichten und schmerzlosen Pfad entscheiden können hätte. Wenn es erlaubt ist, den Ausdruck eines überlegenen Denkers nochmals auszuleihen, war Ernst Jünger der Meinung, dass das Genie nicht von seiner Zeit und von den Einzelheiten seiner individuellen Umstände abhinge. Das Genie schafft seine eigene Zeit. So löst Christus die Fragen, die die Liederedda stellt. Der Autor des Heliands hat eine makellose Synthese durchgeführt.

Wenn Christus an der Endzeit von Himmel zur Erde herunter kommt, der Leiter eines himmlischen Heeres, der Schlangentöter, der Umstürzende, beobachtet man nicht in dieser Höllenfahrt den gleichen Triumphzug bei der Wilden Jagd Wotans? Irrt man sich, wenn man Parallelen bemerkt, zwischen wie die Engel in der Offenbarung des Johannes Trompeten blasen und wie Heimdall dasselbe mit Gjallarhorn im Vorspiel zur Ragnarok tut? Der größte Unterschied ist, dass Christus im absichtlichen Gegensatz zu den Göttern der altnordischen Mythologie diese erschreckende Endschlacht gegen das Übel überlebt. Er siegt.

Die Tugenden dieses Gedichtes sind diejenige, die am nächsten zum wirksamen Gebrauch der Sprache sind. Mitgefühl. Leidenschaft. Verständnis. In der biblischen Erzählung ist die Sprache die erste konkrete Sache, deren Existenz man sich sicher sein kann. In principio erat verbum. Auch am Ende wird es das Wort geben. Die alten Mythen mögen in die tiefste Finsternis der Zeit vergehen, aber solang sie erzählt werden, wird es noch eine winzige, sprühende Glut von ihrer Kernsubstanz bleiben.